Donnerstag, 3. Februar 2011

Wege zu einer Postwachstumsgesellschaft

ATTAC Deutschland wird im Mai dieses Jahres in Berlin einen großen Kongress zum Thema Wachstumskritik und Postwachstumsgesellschaft veranstalten. Zur inhaltlichen Vorbereitung und Einstimmung auf das Thema wird ATTAC  auf einer seiner Webseiten einige Materialien veröffentlichen. Zu diesem Zweck hat Alexis Passadakis, Mitglied des Bundeskoordinationskreises, mich schriftlich interviewt. Das Interview gehört auch zu unserem Blog.

Interview

  1. Was sind aus Deiner Sicht die "Hebel", um zu einer Ökonomie mit einem wesentlich geringeren Stoffdurchsatz zu kommen?
    Man muss vorher sagen, in welchem Kontext man seine Vorstellungen entwickelt – im Kontext 1, nämlich die Annahme, dass wir in der Regierung und in der Wirtschaft das Sagen haben, oder im Kontext 2, nämlich die Realität, dass wir eine kleine, aber überzeugte und aktive Minderheit in den sozialen Bewegungen sind. Weil Kontext 1 Zukunftsmusik ist, bleiben wir zunächst bei Kontext 2. Ich denke an zwei "Hebel": (a) langwierige Bewusstseinsbildungsarbeit und (b) heute schon tun, was im gegebenen System und in der gegebenen persönlichen Lage möglich ist.
    (a) Im Sinne von Gramsci, versuchen, theoretische und intellektuelle Hegemonie zu erreichen (Gramsci sprach von kultureller Hegemonie). Dazu gehört soviel wie möglich zu veröffentlichen, zu reden, zu diskutieren, aber belanglose/unwichtige Fragen zu ignorieren. Aus dem Heuhaufen von belanglosen Fragen/Themen die wichtigsten Nadeln (Kernfragen) herauszuholen und sich darauf zu konzentrieren.
    (b) Z.B. Aktivitäten zur Förderung und Unterstützung der öffentlichen Verkehrsmittel und Aktionen wie Stattauto. In Betrieben: Forderung nach Arbeitszeitreduzierung, aber ohne Lohnausgleich, damit die Arbeitslosigkeit zurückgeht.
  2. Welche ökonomischen Steuerungsmechanismen sind aus öko-sozialistischer Sicht in einer Postwachstumsökonomie notwendig? Und welche Transformationsschritte siehst Du in diesem Kontext?
    Hier nimmt man an, dass Ökosozialisten wie ich am Steuer sitzen und die Entscheidung gefallen ist, eine Schrumpfungspolitik zu verfolgen. Da im Kapitalismus ein Wachstumszwang besteht, ist es im Rahmen dieses Systems unmöglich, ein enProzess der Wirtschaftsschrumpfung einzuleiten. Da nützen Steuerungsmechanismen wie Preissignale, Steueranreize etc. nichts. Das bedeutet, dass bewusste Wirtschaftsplanung freie Marktwirtschaft mit ihrem Konkurrenzprinzip ersetzen muss. Es muss keine hundertprozentige Planung sein, auch eine Rahmenplanung ist denkbar. Es ist aber unausweichlich, dass viele Betriebe, die unnötige oder schädliche Waren und Dienstleistungen produzieren, absichtlich geschlossen werden. Das kann man nicht steuern, das muss durch planvolles, staatliches Handeln durchgeführt werden.
    Da ein ökosozialistisches Regime weder entlassene Arbeiter auf die Straße setzen noch sie nur mit Sozial-Almosen am Leben halten will, muss Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich durchgesetzt werden. Es muss offen gesagt werden, dass in einer schrumpfenden Wirtschaft der gewohnt hohe Lebensstandard nicht aufrechterhalten werden kann. Die sozial notwendige Arbeitslast sowie die mögliche Freizeit müssen gerecht verteilt werden.
  3. Wie können Unternehmen - also die mikro-ökonomische Perspektive funktionieren? Welche Rolle spielen Konzepte solidarischer Ökonomie?
    Wenn totale Planung – so wie einst in der Sowjetunion –, unratsam ist, wenn nur große Industrien und Firmen sozialisiert werden, dann können in einem System von Rahmenplanung kleine Ich-AGs, oder kleine Kooperativen und Genossenschaften im Besitz der Arbeiter funktionieren. Es ist durchaus möglich, dass diese unter sich Absprachen darüber treffen, wer wieviel produziert und welchen Teil der Nachfrage befriedigt.
    Das wäre eine solidarische, keine verstaatlichte, Ökonomie; das wäre Beseitigung des Konkurrenzprinzips – alles im Rahmen einer Art Planwirtschaft. In Kuba wird im Rahmen der jüngsten Wirtschaftsreform so etwas eingeführt. Friseurläden, Taxigeschäfte, Imbissstuben usw. müssen keine staatseigenen Betriebe sein, die nach einem zentral und genau erarbeiteten Plan produzieren. Auch in Deutschland wird Niederlassung von Ärzten von den Krankenversicherungen reguliert und so Überangebot verhindert.
  4. Welche Akteursallianzen sind aus Deiner Sicht nötig, um eine solidarische Transformation ins Werk zu setzen?
    Hier sollte man nicht im altlinken Stil von Akteursallianzen reden. Das Potential für den Einsatz für eine ökosozialistische Gesellschaft und gegen eine die Umwelt zerstörende Wirtschaftsordnung ist in jedem Menschen und in jeder Schicht vorhanden. Nur bei Unternehmern als aktiven Unternehmern kann das nicht erwartet werden. Und bei Gewerkschaften und sonstigen berufsspezifischen Organisationen heutigen Typs habe ich Zweifel. Sie sind zu sehr im gegenwärtigen Wirtschaftsmodell verhaftet. Der Lebenssinn solcher Organisationen widerspricht einfach der Idee des Verzichts auf das Eigeninteresse ihrer Mitglieder. Die Bereitschaft, auf Eigeninteresse zu verzichten, und gar die Auflösung der eigenen Wirtschaftsbranche (die Werbebranche z. B.) zu akzeptieren, sind Voraussetzungen für das politische Engagement, das wir meinen.

Zusatz zum Interview

  • a.) Meine erste Frage habe ich nicht eindeutig genug formuliert. Ich meinte die ökonomischen Hebel für eine Schrumpfung der Ökonomie – also Arbeitszeit, Investitionen, Zinsen ... etc. - wo sollte man Deiner Meinung nach ansetzen.
    Bei den Detailfragen muss man vorsichtig sein. Die Menschen, die in der Zukunft so eine Politik durchsetzen müssen, sie müssen sehen, was geht und was nicht. In der Übergangszeit muss man experimentieren. Was die Investitionen betrifft, müssen sie vom Staat bestimmt bzw. dirigiert bzw. getätigt werden. Schon Keynes hatte etwas Ähnliches gefordert. Anders als bei Keynes wird der Zweck dann sein, den Schrumpfungsprozess einzuleiten. Zinssätze als Anreiz zu Investitionen haben dann keine Funktion mehr. Sie werden dann die einzige Funktion haben, bei den noch existierenden Besser-Verdienenden etwas Motivation zum Sparen aufrecht zu erhalten.Solange die Energie für hoch automatisierte Maschinen reicht, muss die Arbeitszeit verkürzt werden, damit die Produktion zurück geschraubt werden kann, was wir wollen, ohne Arbeiter und Angestellte arbeitslos zu machen.
  • b.) Was meinst Du mit "ohne Lohnausgleich"? Wenn ein Azubi mit 630 Euro eine Arbeitszeitverkürzung von 12 Stunden hätte, dann bliebe ihm gerade noch Geld für Wohnung und Essen - Kleidung geht dann schon nicht mehr... Eine alleinerziehende Verkäuferin mit Kind, die 980 Euro hat, muss dann wohl auch darben... ???
    Auch in der Übergangszeit muss eine ökosozialistische Regierung eine gewisse Egalisierung der Einkommen vornehmen. Im Niedriglohnsektor wird kein Lohnverzicht verlangt; es kann aber auch keine Lohnaufbesserung geben, weil die Wirtschaft insgesamt schrumpfen muss. Schon heute gibt es halbe Stellen mit halbem Gesamteinkommen. Das kann schon bei Facharbeitern, Lehrern, Beamten verlangt werden.
  • 3b.) Für welche Unternehmen aber bleiben in einer schrumpfenden Ökonomie Profite übrig und auf welcher Ebene soll - angesichts eines europäischen Binnenmarktes – geplant werden?
    Solange Deutschland (oder meinetwegen ein anderes Land) Mitglied der EU bleibt, kann das ganze geplante Vorhaben nicht im Alleingang durchgeführt werden, ohne einen Zusammenbruch zu riskieren. Auch wenn Deutschland die EU verlässt, bleibt es vorerst an die Weltwirtschaft gebunden. Eine große Region, z.B. die EU oder zumindest ganz Westeuropa muss bereit sein, eine Politik der Wirtschaftsschrumpfung einzuleiten. Diese Einigung in einer großen Region zu erreichen, ist die politische Aufgabe. Leute wie du und ich müssen daran arbeiten. Eigentümern der Betriebe, die geschlossen werden müssen, kann keine Entschädigung bezahlt werden. Woher sollen die Mittel bei einer schrumpfenden Wirtschaft kommen? Ihnen kann höchstens ein ihrer Qualifikation entsprechender Arbeitsplatz angeboten werden oder eine respektable Rente. Bei Betrieben, die weiter produzieren dürfen, kann ein Profit nicht gesichert sein. Wahrscheinlich wird es nur reichen, die Löhne zu bezahlen, zu mehr wohl nicht. Aktieninhabern kann dann der Zinssatz bezahlt werden, der auch Sparern bezahlt werden wird.

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