Mittwoch, 12. Dezember 2012

Wenn Schon Untergang,
Dann Ganz Demokratisch

Neulich las ich im Internet einen Artikel von Jörgen Randers mit dem Titel "Ein guter Diktator. Das ist der Gipfel" (Der Tagesspiegel, Berlin, 17.06.2012). Randers ist ein ziemlich bekannter Mann. Er war Co-Autor des berühmten ersten Berichts an den Club of Rome "Grenzen des Wachstums" (1972). Und vor einiger Zeit hat er den dritten Bericht an den Club of Rome herausgegeben ("2052 – Eine globale Prognose für die nächsten 40 Jahre").
Dieser dritte Bericht mag interessant sein. Aber viel interessanter ist der Artikel im Tagesspiegel, wo Randers ein großes Problem thematisiert, das die Welt seit langem plagt, nämlich, dass es fast unmöglich ist, für wirklich effektiven Klimaschutz, aber auch für effektive Maßnahmen zur Lösung der allgemeinen Ökologiekrise eine Mehrheit zu finden. Bei punktuellen Umweltverbesserungen, zum Beispiel bei Wasser- oder Luftqualität, hat es in den reichen Ländern – etwa in Deutschland oder Japan – schon manche Fortschritte gegeben. Aber bei den globalen Problemen wie der Erderwärmung, Verschmutzung der Ozeane oder bei Biodiversität und Artenschutz ist fast nichts passiert. Die Serie der gescheiterten Weltklimagipfel ist das bekannteste Beispiel für diese Unmöglichkeit. Randers schreibt nun: "Parlamente lösen langfristige Probleme nicht, … . Wir bräuchten Diktatur auf Zeit."
Randers argumentiert, Parlamente, also die Gesetzgeber, könnten schon etwas tun, nämlich durch Gesetzgebung. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie das tun, ist gering. Denn die meisten Abgeordneten würden schnell erkennen, dass die Konsequenz daraus wäre, dass vieles teurer würde: Strom, Gas etc. Sie sind also nicht dafür. Denn ihre Wähler würden sie dafür verantwortlich machen, sie würden dann nicht wieder gewählt. Randers meint, es gebe einige Ausnahmen, z.B. das deutsche Parlament, das Wind- und Solarenergie fördert, ein paar Unternehmen, und China, das sehr früh mit der Förderung von Elektroautos angefangen hat.
Randers schlägt also einen "wohlmeinenden Diktator" als Lösung vor, der die notwendigen schnellen Entscheidungen treffen würde und dann, nach getaner Arbeit, nach etwa fünf Jahren zugunsten eines gewählten Parlaments zurücktreten würde. Bezogen auf die gegenwärtige Welt, erwähnt er drei mögliche Kandidaten bzw. Beispiele: die EU-Kommission, die Kommunistische Partei Chinas, und das supranationale IPCC.
Die Kommentare über diese Idee von Randers sind hart und beleidigend. Hier ein paar Kostproben: Einer schreibt: "Randers ist ein ziemlicher Fachidiot. Wer nur was von Klima versteht, versteht auch das nicht richtig." Ein anderer hält Randers für ein "gefährliches Individuum". Und ein dritter schreibt: "Da hetzen selbsternannte 'Anständige' 'gegen rechts'. … Doch die wahren Verfassungsfeinde und Antidemokraten sitzen schon ganz lange woanders. Ökofaschisten und Diktatoren in ihrem Element." Aber kein einziger der Kritiker geht auf das Dilemma ein, das Randers bewegt hat, seine Idee eines wohlmeinenden Diktators zu äußern.
… Ich erinnere mich, dass im Deutschland der 1980er Jahre, besonders bei den Grünen, die Notwendigkeit von Ökodiktatur, die Gefahr des Ökofaschismus und Ähnliches schon Diskussionsthema waren. Auch damals wurde die Meinung geäußert, dass in einer Demokratie eine echt ökologische Transformation der Ökonomie keine Chance hat. Fast dreißig Jahre später sagt Randers dasselbe.
Das Grundproblem ist, dass die künftigen Generationen, die Noch-nicht-Geborenen, nicht an den Wahlen von heute teilnehmen können. Doch die Weichen für die Zukunft werden heute gestellt. Eine Demokratie aber veranstaltet eine Wahl zwischen alternativen Programmen, Politiken und Kandidaten, die im Idealfall versprechen, die Interessen und das Wohl von heute lebenden Menschen und Unternehmen (oder von Teilen von ihnen) zu schützen und zu fördern. Es liegt auf der Hand, dass die Interessen der heute lebenden und die der zukünftigen Generationen nicht gleich sind. Und es gibt auch einen Widerspruch zwischen den Interessen der Gattung Mensch und denen der übrigen Spezies. Je mehr Menschen auf der Erde leben, desto weniger Platz und Ressourcen gibt es für die anderen Spezies.
Bei dieser Sachlage stellt sich die Frage, ob die heute lebenden Menschen in der Lage sein könnten, ihr eigenes Interesse hintanzustellen und den Interessen der übrigen Natur und der zukünftigen Generationen von Menschen Vorrang zu geben. Das ist offensichtlich sehr schwierig. Denn dazu müssten sie auf einen großen Teil ihres heutigen Wohlstands verzichten.
Randers meint es gut, er hat die Beschimpfungen nicht verdient. Aber er ist naiv. Warum sollten die Abgeordneten der Parlamente der EU-Staaten oder der ganzen Welt bereit sein, ihre Macht an einen wohlmeinenden Diktator abzutreten, wenn sie nicht einmal bereit sind, ihre Kämpfe um aussichtsreiche Listenplätze aufzugeben? Und warum sollten sie einen solchen Diktator nicht wieder stürzen, sobald er eine Entscheidung gegen die Interessen ihrer Klientel trifft?
Verhaltensforscher haben festgestellt, dass sowohl Selbstsucht als auch Altruismus in der Erbanlage von Schimpansen (unseren allernächsten Verwandten) sowie in der von Menschen verankert ist. Es ist also zumindest theoretisch möglich, Menschen dazu zu bewegen, ihr eigenes Interesse hintanzustellen – zugunsten der Interessen der ganzen Menschheit, der künftigen Generationen und der übrigen Natur. Ich denke, dazu ist eine starke und breite politische Bewegung notwendig – beruhend auf der ökologischen Wahrheit und bar jeder Illusion. Wenn eine solche Bewegung die intellektuell-kulturelle Hegemonie im Sinne von Gramsci errungen hat, dann, und erst dann, gibt es Hoffnung, auf demokratischem Weg etwas zu erreichen. Dann wäre möglich, dass eine Transformationspolitik in der Richtung einer ökologischen Ökonomie verfolgen würde, egal, welche Personen oder Personengruppe die Wähler beauftragen, die Arbeit durchzuführen. Ansonsten ist der Untergang der Zivilisation garantiert. Der Prozess wird sehr chaotisch sein, obwohl ganz demokratisch.